Verleihung der Exzellenz- und Dissertationspreise der DFH 2017
Dankesrede des Preisträgers Theo Müller
Ausgezeichnet für seinen Abschluss im Studienfach „Geschichtswissenschaften“ an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und der École des Hautes Études en Sciences Sociales, hat Theo Müller im Anschluss an die Preisverleihung stellvertretend für die 13 ausgezeichneten DFH-Absolventen und jungen Nachwuchswisenschaftler folgende Dankesrede gehalten.
„Sehr geehrter Herr Botschafter, sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen,
Tout d’abord : Je suis vraiment désolé que je vais parler en allemand ; on m’a dit que la plupart d’entre vous avait l’allemand comme langue maternelle. Vous ne ratez rien – c’est juste la version plus longue d’un grand merci à tout le monde.
Ich wurde nun vorgeschickt, um ein paar Worte zu sagen, aber selbstverständlich möchte sich jede einzelne und jeder einzelner noch einmal sehr herzlich für die Verleihung des Exzellenzpreises der Deutsch-Französischen Hochschule bedanken – bei der DFH selbst, aber auch bei der Jury und den Förderinnen und Förderern der einzelnen Preise. Wir alle wissen das sehr zu schätzen. Vielen Dank dafür.
Wenn man so einen „Exzellenzpreis“ überreicht bekommt, ist man versucht sich zu fragen, was genau denn nun so „exzellent“ sein soll; an der eigenen Studienlaufbahn und den eigenen interkulturellen Erfahrungen. Denn sicherlich haben wir alle gute Studienab-schlüsse in zwei oder sogar drei Ländern erzielt – aber reicht das aus, um sich selbst „Exzellenz“ zu bescheinigen? Diese Frage kann man stellen, denn inzwischen gibt es doch einige Menschen, die einen Aufenthalt in Deutschland oder in Frankreich als „langweilig“ oder zumindest als „gewöhnlich“ qualifizieren. Ich denke zurück an eine Dame, die einer anderen Freundin im RER in Paris entgeistert davon berichtete, dass die Kinder jetzt Deutsch in der Schule lernen – wozu man das denn bräuchte. Umgekehrt haben mich einige Freunde gefragt, ob es nicht viel wichtiger wäre, besser Englisch zu lernen.
Ich habe das einige Male gehört. Aber verstanden habe ich es nie.
Denn ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Schulklasse von einer kleinen norddeutschen Stadt in einem viel zu heißen Sommer vor 14 Jahren das erste Mal nach Paris fuhr. In unserem Bus starrten wir fasziniert auf unsere Handy-Displays (damals waren das noch keine Smartphones) und machten sie dann hinter der Grenze schnell aus, weil wir Angst vor den horrenden Roaming-Gebühren im fremden Netz hatten. Wir sind durch die französische Hauptstadt gehetzt, haben unsere obligatorischen Fotos vor dem Eiffelturm gemacht und danach waren wir in erster Linie mit Staunen beschäftigt. Wir waren einigermaßen überwältigt von Frankreich und den Französinnen und Franzosen, den vielen Eindrücken, die auf uns einprasselten. Gerade für diejenigen unter uns, deren Familien einen Urlaub im Ausland nicht hätten bezahlen können, war es eines der größten Abenteuer, die sie bis dahin erlebt hatten.
Damals konnte ich noch nicht wissen, dass ich einmal die Möglichkeit haben würde, für längere Zeit im Rahmen eines von der DFH geförderten Studiengangs in Paris und seiner Banlieue leben und arbeiten zu dürfen. Heute ist dieser Traum Realität geworden – und in gewisser Weise geht auch das Abenteuer bis heute weiter. Im Alltag bin ich heute weniger aufgeregt, aber oft noch genauso erstaunt wie damals. Ich erlebe es als persönliche Befreiung, im Supermarkt in Frankreich nicht mehr grübeln zu müssen, ob das Flaschenpfand nun 8, 15 oder 25 Cent beträgt. Und noch immer muss ich jedes Mal schmunzeln, wenn ein rüstiger Franzose liebevoll sein Scheckbuch aus der Tasche nestelt und damit in aller Seelenruhe an der Kasse bezahlt.
Ich glaube, dass erst ein längerer Aufenthalt im Partnerland, wie er uns im Rahmen unseres Studiums ermöglicht wurde, den Blick schärft – und zwar nicht in Bezug auf die natürlich vorhandenen Unterschiede im Alltag, in der Administration und im Wissenschaftssystem. Ich bin mit einigen stereotypen Vorstellungen von Frankreich in dieses Studium hineingegangen. Einige davon haben sich durchaus bestätigt, andere nicht. Die intensive Beschäftigung mit der Sprache, der Kultur, der Wissenschaft und der Politik des Gastlandes zwingt dazu, sich selbst jeden Tag wieder in Frage zu stellen; und man lernt dabei fast noch mehr über sich selbst als über das andere Land.
Das Geniale an solchen Erfahrungen ist, finde ich, dass man vorhandene Unterschiede eben nicht nivellieren muss, sondern sie gerade als junger Mensch produktiv für sich nutzen kann. Denn ein gutes Studium ist, davon bin ich fest überzeugt, dass insbesondere ein deutsch-französisches Studium mehr sein kann als die Summe der Noten und Kredit-punkte, die man dafür erhält – selbst wenn diese Erkenntnis im Hochschulalltag manchmal untergeht. Der „interkulturelle Mehrwert“ ist aber in meinen Augen genau das: Wir dürfen als EU-Bürgerinnen und -Bürger nicht nur in einem anderen Land leben, dort studieren und vielleicht später arbeiten – die meisten von uns finden dort auch viele neue Freunde und Bekannte. Einige von uns verlieben sich sogar im anderen Land.
Wenn man die Annehmlichkeiten eines Studiums in beiden Ländern eine Zeit lang genießt, mag man versucht sein, sie als Selbstverständlichkeit zu empfinden. Das sind sie natürlich nicht. Davon auszugehen wäre vielleicht sogar ein klein wenig gefährlich. Unsere internationalen Bildungsbiografien verdanken wir einerseits klugen politischen Entscheidungen der Vergangenheit, und andererseits den französischen und deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die unsere Abenteuer mit nicht unerheblichen Geldbeträgen unterstützen. Dass sie das tun, ist ein Privileg, das unseren Respekt und unsere Dankbarkeit verdient.
Ich denke, dass man keine Geisteswissenschaft studiert haben muss, um in diesen Tagen ein wenig Angst vor der Welt zu bekommen. Denn es wäre schrecklich, eines Tages aufzuwachen und festzustellen, dass wir alle hier in diesem Saal Europa und die deutsch-französische Freundschaft für eine ganz tolle Sache halten, aber immer größere Teile der Bevölkerung nicht das Geringste damit anfangen können. Natürlich wiederholt sich die Geschichte nicht. Aber gerade weil wir nicht vorausahnen können, wie sich die politischen Verhältnisse in unseren beiden Ländern eines Tages entwickeln werden, ist es so wichtig, die Wichtigkeit und die Vorteile internationaler und speziell deutsch-französischer Zusammenarbeit herauszustellen, zu verteidigen und zu erklären.
Vielleicht gehört es zu den Berufskrankheiten eines Möchtegern-Historikers wie mir, aber ja, ich denke, dass es nicht schaden kann, sich von Zeit zu Zeit in Erinnerung zu rufen, dass das 21. Jahrhundert das erste seit langer Zeit wäre, in dem Deutsche und Franzosen keinen Krieg gegeneinander geführt hätten.
Sich der eigenen Großartigkeit zu versichern und trotzdem unwillkürlich auseinanderzuleben darf deshalb keine Option sein. Wer, wenn nicht wir, könnte etwas dagegen unternehmen; wer, wenn wir nicht wir, könnte von den sehr konkreten Vorteilen Europas und speziell der deutsch-französische Kooperation zeugen und wer, wenn nicht wir, könnte glaubwürdig dafür einstehen, dass all dies eben nicht nur das Projekt irgendeiner abgehobenen Elite irgendwo in Berlin und Paris ist.
Wir haben viele der Vorteile am eigenen Leib erlebt, die Europa und speziell die deutsch-französische Zusammenarbeit uns bieten und noch mehr Menschen bieten könnten. Deshalb sollten wir auch diejenigen sein, die die wissenschaftliche, kulturelle, politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit gegen einen neuen Nationalismus verteidigen. In diesem Sinne ist ein internationales, ein deutsch-französisches Studium die beste Impfung gegen all den Hass und all die Intoleranz, mit der uns einige Menschen in letzter Zeit zu überschütten versuchen.
Denn das Traurigste, was den Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern widerfahren könnte, wäre wohl genau das: dass wir als Franzosen und Deutsche verlernen, über- und miteinander zu staunen. Lasst uns das gemeinsam verhindern!
Merci beaucoup !“